Fragen und Antworten zur neuen Gentechnik

Die EU plant den Umgang mit neuen Gentechnikmethoden in der Pflanzenzucht und der Landwirtschaft neu zu regeln. Daran knüpfen sich viele Fragen.

Was ist neue Gentechnik? Was unterscheidet sie von klassischer Gentechnik?

Bei der klassischen Gentechnik (Transgenese) werden mithilfe molekularbiologischer Verfahren, meist ganze Gene zufällig in das Erbgut eines Organismus eingebaut. Diese Gene stammen oft von anderen Organismen, z.B. wird das sogenannte Bt-Gen aus einem Bakterium in das Erbgut von Mais eingebaut. Der Mais produziert dann ein Eiweiß, dass Schädlinge (z.B. den Maiszünsler) tötet.

Bei den neuen Gentechniken, oft auch als „Mutagenese“, „Genom-Editierung“ oder „Genschere“ bezeichnet, werden gezielt Änderungen im Erbgut eines Organismus erzeugt. Ein weiterer, großer Unterschied zur klassischen Gentechnik: Häufig wird keine fremde DNA in den Zielorganismus eingebaut.

Warum soll die neue Gentechnik neu geregelt werden?

In einem Urteil aus dem Jahr 2018 erkannte der Europäische Gerichtshof, dass neue Mutagenese-Techniken wie klassische Gentechnik zu regulieren sind, d.h. den gleichen Zulassungs- und Kennzeichnungsvorschriften unterliegen (Rechtssache C-528/16).

2021 kam die Europäische Kommission im Rahmen einer Studie zum Schluss, dass die derzeitigen Regelungen nicht mehr dem Stand der Wissenschaft entsprechen und bereitete ein Gesetzgebungsverfahren zur neuen Gentechnik vor. Der Kommissionsvorschlag ist auf die Anwendung bei Pflanzen beschränkt. Vorarbeiten zur Regelung der Anwendung bei Mikroorganismen und Tieren laufen bereits.

Welche Möglichkeiten bietet die neue Gentechnik?

Der grundlegende Vorteil der neuen Gentechnik ist die technisch einfache Umsetzung und die höhere Spezifität, d.h. die gezielte Veränderung bestimmter Gene.

Die Anwendungen sind vielfältig: von der Medizin (Behandlung genetisch bestimmter Erkrankungen) über die Grundlagenforschung (Erforschung der Funktionsweise bestimmter Gene) bis zu landwirtschaftlichen Anwendungen bei Pflanzen.

Die Möglichkeit, durch die Erzeugung klimaresistenter Pflanzen die landwirtschaftliche Produktion zu steigern und die Lebensmittelversorgung zu sichern, bleibt derzeit Utopie. Nur wenige der derzeit in Entwicklung befindlichen Anwendungen beschäftigen sich damit. Die derzeit durch neue Gentechnik erzeugten Eigenschaften betreffen vor allem Krankheits- und Schädlingsresistenz sowie Produkteigenschaften (längere Haltbarkeit, veränderte Nährstoffzusammensetzung).

Was enthält der Vorschlag der Europäischen Kommission?

Die geplante Regelung unterscheidet Anwendungen in zwei Kategorien:

Kategorie 1 betrifft Pflanzen, in denen keine Fremd-DNA verbleibt und die auch durch natürliche Mutation entstehen könnten. Diese Pflanzen sollen weitgehend dereguliert werden, ein Zulassungsverfahren ist nicht vorgesehen. Vorgeschrieben ist nur mehr eine Notifizierung durch den Antragsteller, in der nachgewiesen wird, dass es sich um Pflanzen der Kategorie 1 handelt. Damit entfallen die Risikoprüfung, die Produktkennzeichnung und das Monitoring nach der Vermarktung. Kennzeichnungspflichtig ist nur das Saatgut. Nicht aber daraus hergestellte Lebens- und Futtermittel.

Kategorie 2 beinhaltet alle Pflanzen, die zwar mit neuer Gentechnik hergestellt werden, aber noch Fremd-DNA enthalten, also transgene Pflanzen. Für diese sollen ähnliche Regelungen gelten wie für die klassische Gentechnik, wenn auch mit reduzierter Risikoabschätzung und veränderter Kennzeichnung.

Der Vorschlag der Europäischen Kommission betrifft ausschließlich die Anwendung von Pflanzen, deren Anbau und Vermarktung. Medizinische Anwendungen, Anwendungen in der Forschung und in geschlossenen Systemen (z.B. Labor, Produktion von Enzymen in Reaktoren) sind von dieser Neuregelung nicht betroffen.

Welche Auswirkung könnte der Vorschlag haben?

Auf Forschung und Wissenschaft sind nur wenige Auswirkungen zu erwarten, da die Forschung auch bisher nicht eingeschränkt ist. Versuche im Freiland mit transgenen Pflanzen müssen bewilligt werden, sind aber nicht verboten. Seit 1997 wurde in Österreich kein einziger Antrag gestellt.

Marktforschungsergebnisse zeigen über die letzten Jahre ein konstantes Bild: Die Anwendung von Gentechnik in der Lebensmittelproduktion wird von der Bevölkerung breit abgelehnt und Gentechnikfreiheit ist ein wichtiges Kriterium bei der Kaufentscheidung. Wenn die Kennzeichnung entfällt, ist die Wahlmöglichkeit der Konsument:innen nicht mehr gegeben.

Dies hätte auch massive Auswirkungen auf die, besonders für Österreich wichtigen, Wirtschaftszweige der biologischen und der gentechnikfreien Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion. Durch die fehlende Kennzeichnung ist eine Trennung der Warenströme nur mit großem Aufwand möglich. Das könnte auch zu einem Vertrauensverlust und damit zu großen wirtschaftlichen Einbußen dieser Produktionszweige führen.

Ein Anbauverbot, das derzeit für alle gentechnisch veränderten Organismen in Österreich gilt, wird nach dem Vorschlag der EU-Kommission nicht mehr möglich sein. Wenn eine Pflanze, die mit neuer Gentechnik produziert wurde, unabhängig ob Kategorie 1 oder 2, notifiziert, bzw. zugelassen ist, kann diese unbeschränkt angebaut werden.

Nationale Maßnahmen beschränken sich dann auf verpflichtende Koexistenzmaßnahmen für Pflanzen der Kategorie 2. Diese müssen von den Mitgliedstaaten erlassen werden. Welche Kriterien dafür gelten sollen, lässt der Vorschlag offen. In Österreich sind für Maßnahmen, die den Anbau betreffen, die Bundesländer zuständig. Diese haben Koexistenzregeln auf freiwilliger Basis für die klassische Gentechnik schon vor einigen Jahren erlassen.

Warum ist ein Zulassungsverfahren wichtig?

Neben der Wahlfreiheit für Konsument:innen und Produzent:innen, die nur durch ein Zulassungsverfahren und der damit verbundenen Kennzeichnung gegeben ist, sprechen auch andere Punkte für ein verpflichtendes Zulassungsverfahren:

Einhaltung des Vorsorgeprinzips: Obwohl die neue Gentechnik seit mehr als zehn Jahren eingesetzt wird, gibt es kaum praktische Erfahrung bei der Anwendung in der Landwirtschaft oder bei Lebensmitteln. In wissenschaftlichen Publikationen wird immer wieder von unerwünschten Nebeneffekten berichtet, wie z.B.: Die Veränderung ist nicht zu 100% zielgerichtet, Fremd-DNA verbleibt im Organismus, obwohl sie eigentlich vollständig entfernt werden sollte. Um diese Effekte gründlich untersuchen zu können, ist eine umfassende Risikoprüfung notwendig.

Dies betrifft auch das Verhalten der veränderten Pflanze in der Umwelt. Neben der fehlenden Risikoprüfung würde eine vollständige Deregulierung auch das Monitoring verunmöglichen. Dies ist aber notwendig, um mögliche unerwünschte, langfristige Effekte zu erkennen und - wenn notwendig - entsprechende Maßnahmen (Rückholung) ergreifen zu können.

Die Studie der EU-Kommission zeigte auch, dass nur 1,5% der Forschungsgelder, die für neue Gentechnik in der EU aufgewendet werden, in die Sicherheitsforschung und die Entwicklung von Nachweisverfahren geht. Der Rest wird für Produktentwicklung und Grundlagenforschung verwendet.

Wie geht es nach dem Vorschlag der EU-Kommission weiter?

Die Europäische Kommission hat ihren Vorschlag am 5. Juli 2023 veröffentlicht. Diskussionen im Rat der Europäischen Union haben Ende Juli in der Ratsarbeitsgruppe „Innovation in der Landwirtschaft“ (WP Innovation in Agriculture) begonnen. Weder unter spanischem noch unter belgischem Ratsvorsitz konnte eine gemeinsame Position zu diesem Vorschlag gefunden werden. Damit kam auch kein Verhandlungsmandat für die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament zustande.

Der ungarische Ratsvorsitz (2. Halbjahr 2024) plant nun einen Neustart der Verhandlungen und hat ein Dokument vorgelegt, das viele der offenen Punkte, wie z.B. die Kriterien für NGT1 Pflanzen, Kennzeichnung, Nachweisbarkeit oder Opt-Out Möglichkeiten für die Mitgliedstaaten auflistet und das als Grundlage für die weitere Diskussion im Rat dienen soll. 

Das Europäische Parlament hat den ursprünglichen Vorschlag der Kommission im Umwelt- und Agrarausschuss diskutiert, und eine Reihe von Änderungsanträgen erarbeitet. Viele dieser Anträge wurden vom Plenum in erster Lesung im Juni 2024 angenommen und dienen dem Parlament als Grundlage für die Trilog-Verhandlungen. Diese Verhandlungen mit der Europäischen Kommission und dem Rat können jedoch erst beginnen, wenn sich die Mitgliedstaaten mehrheitlich auf eine gemeinsame Position geeinigt haben. 

Weitere Informationen zur geplanten EU-Regelung der neuen Gentechnikmethoden enthält das vom Umweltbundesamt im Auftrag der ARGE Gentechik-frei erstellte White Paper Offene Fragen und Risiken der neuen Gentechnik

Eine Umweltbundesamt-Studie im Auftrag der Arbeiterkammer Wien beschäftigt sich mit den möglichen unbeabsichtigten Effekten der neuen Gentechnik (in engl. Sprache).