Ökosystem im Umbruch
Der Klimawandel verändert Dynamiken im Wald und unsere Wälder. Ein großer Balanceakt
Manchmal ist Nehmen seliger als Geben. Das gilt vor allem für das Ökosystem Wald, das in Österreich derzeit im Schnitt mehr Kohlenstoff aufnimmt, als es abgibt. Ein Hektar Wald nimmt im Jahr je nach Waldalter, Baumdichte und Baumarten zwischen 0,5 und 5 Tonnen Kohlenstoff auf. Dieser Effekt hilft beim Klimaschutz. Wird der globale Temperaturanstieg aber nicht auf unter 2 °C begrenzt, ist diese Wirkung gefährdet.
Häufigere Trockenperioden führen selbst an feuchten Gebirgsstandorten zu verringertem Baumwachstum. Störungen durch Feuer, Wind oder Schadinsekten nehmen zu und beeinflussen ebenfalls die Kohlenstoffbilanz. Wie, das untersucht das Umweltbundesamt am Forschungsstandort Zöbelboden im Nationalpark Kalkalpen. Der Standort ist ein Hotspot für ökologische Langzeitforschung in Österreich und ein wichtiger österreichischer Beitrag zu europäischen Forschungsnetzwerken wie LTER (Long-Term Ecosystem Research). Seit 26 Jahren wird dort gemessen, beprobt und kartiert. Die Ergebnisse belegen, wie sensibel und langfristig der Wald auf Umweltveränderungen reagiert.
Dabei kommt modernste Technik zum Einsatz. Messungen an Baumstämmen, im Boden und in der Luft ergeben, dass der Wald den Kohlenstoff über die Balance von Baumwachstum und Abbau organischen Materials bindet. Bäume nehmen über die Photosynthese Kohlendioxid auf und verbauen es im Stamm, in den Wurzeln und Zweigen. Im Boden lebende Tiere, Pilze und Bakterien bauen den herbstlichen Laubfall und tote Wurzeln ab. Die Abbauvorgänge produzieren Kohlendioxid, das an die Umgebungsluft abgegeben wird.
Der Waldboden bindet aber auch Kohlenstoff, 100-150 Tonnen pro Hektar sind es momentan am Zöbelboden. Zusätzlich sind 150-200 Tonnen pro Hektar im Stamm, in den Blättern und den Baumwurzeln gebunden. Hochgerechnet auf ganz Österreich ist im Wald so viel Kohlendioxid gebunden, wie hier in 40 Jahren Treibhausgase an die Luft freigegeben werden. Damit der Wald seine Klimaschutzfunktion möglichst lange erfüllen kann, darf nicht mehr Holz entnommen werden als nachwächst. Ein Balanceakt, bei dem viel auf dem Spiel steht.
Anmerkung: Dieser Artikel ist in der Juni-Ausgabe 2020 von WALD - Das Magazin für draußen erschienen. Der Autor, Michael Mirtl, ist Senior Expert im Umweltbundesamt und Vorsitzender des LTERForschungsnetzwerks Europa.