Im Interview: Michael Nentwich, Institut für Technikfolgen-Abschätzung

Chancen und Risiken digitaler Technologien

Foto Michael Nentwich
Doz. Dr. Michael Nentwich, Direktor des ITA

Welche digitalen Technologien werden in den nächsten Jahren die größten Auswirkungen auf Österreich haben?

Nentwich: Die künstliche Intelligenz (KI) wird eine Schlüsseltechnologie sein. Dabei verarbeiten fortgeschrittene Algorithmen Informationen auf Basis von Big Data. Damit wird die Automatisierung im Wirtschaftsleben Einzug halten und es wird mit großen Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt gerechnet. Die zweite, sehr wichtige Entwicklung ist die Netzwerktechnologie 5G, weil damit nach allgemeiner Einschätzung das Internet of Things Wirklichkeit werden kann.

Wo sehen Sie die größten Risiken der Digitalisierung für die Gesellschaft?

Nentwich: Die größte Gefahr sehe ich für unsere Demokratie. Zwar ermöglicht die Digitalisierung prinzipiell mehr Teilnahme an gesellschaftlichen Diskursen, das Potenzial zur Manipulation steigt aber ebenso enorm. Ein wichtiger Teilaspekt ist die Aushöhlung der Privatsphäre. Wir sind zu gläsernen BürgerInnen und KonsumentInnen geworden. Diesem Trend kann man sich schwer entziehen und das Bewusstsein in der Bevölkerung dazu ist sehr gering. Ein weiteres großes Risiko besteht darin, dass wir uns als Individuen und als Gesellschaft immer mehr auf digitale Prozesse verlassen, die selbst ExpertInnen nicht vollständig verstehen und kontrollieren können. Noch dazu sind diese Prozesse störanfällig, brauchen Unmengen an Strom und machen uns anfällig für Terrorismus.

Welche Chancen und Risiken sehen Sie in Bezug auf Energie- und Ressourcenfragen?

Nentwich: In der Öffentlichkeit ist das Bewusstsein für die negativen Umweltauswirkungen der Digitalisierung, wie der hohe Energie- und Ressourcenverbrauch, kaum vorhanden. Die Tatsache, dass Streaming, Googeln oder Bitcoin-Schürfen unglaublich viel Strom braucht, ist kaum bekannt.
Vermutlich haben Big-Data-Analysen ein Potenzial beim Erkennen und Erfassen von Problemen und vielleicht wird es möglich sein, energie- und ressourcenschonendere Verfahren zu entwickeln. Auch im Mobilitätssektor gibt es Potenzial für Energieeinsparungen, Rebound-Effekte könnten aber in
allen Bereichen das Gegenteil bewirken.

Müssen wir uns vor der digitalen Transformation fürchten?

Nentwich: Fürchten müssen wir uns nicht, aber Besorgnis ist angebracht. Ich finde, wir sollten bewusst entscheiden, was wir als Gesellschaft und Individuen wollen und was wir eben nicht wollen. Wollen wir, dass Roboter unsere Alten pflegen, dass Algorithmen entscheiden, wer welche Dienstleistungen erhält, oder uns in allen Lebenslagen von digitalen Geräten abhängig machen? Langfristig ist der Energie- und Ressourcenverbrauch (nicht nur) der Digitalisierung ein Grund zur Besorgnis, denn, wenn wir den nicht in den Griff bekommen, wird sich das Weltklima in einer Weise ändern, die auch soziale Konsequenzen haben werden.

Wenn wir an das Jahr 2042 denken, wird uns die Digitalisierung geholfen haben, den Ressourcen- und Energieverbrauch zu reduzieren?

Nentwich: Ich bin sehr skeptisch gegenüber dem Potenzial der Digitalisierung, die globalen Umweltprobleme zu lösen. Ich bezweifle, dass Rebound- und Nachholeffekte der bislang weniger entwickelten Länder aufgewogen werden können. Die Umweltprobleme bekommen wir nicht durch neue Technologien, sondern durch Lebensstiländerungen und politische Rahmenbedingungen in den Griff. Verhaltensänderungen von Individuen alleine sind nicht die Lösung: Wir brauchen vorausschauende PolitikerInnen.

 

Das Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ITA) erforscht für Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit die Folgen neuer Technologien für Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft.

 

Das Interview führten die Umweltbundesamt-Expertinnen für nachhaltige Entwicklung, Tanja Gottsberger und Anna Rosa Vollmann.